Donnerstag, 12. November 2009

"Die Bestie muss sterben"


Spiegel Interview mit Michael Moore von Wolfgang Höbel und Daniel Sander

Der amerikanische Regisseur Michael Moore über seinen Film "Kapitalismus - Eine Liebesgeschichte", das schlechte Beispiel der USA und seine Botschaft an Präsident Barack Obama.

SPIEGEL: Mr. Moore, haben Sie selbst das Unheil der Finanzkrise kommen sehen?

Moore: Ja. Ich habe schon im Mai 2008 angefangen, an meinem Film zu arbeiten, Monate vor dem Crash. Schon damals wurden Menschen auf die Straße gesetzt, stiegen die Immobilienzinsen bedrohlich, kletterte die Zahl der Bankrotte in den USA ebenso auf ein Allzeithoch wie der Schuldenstand der Kreditkartennutzer. Ich sage: Jeder hätte es sehen können. Ich habe nur eine Highschool-Bildung, ich bin ein Typ, der mit einer Baseball-Kappe auf dem Kopf herumrennt, aber ich sah es kommen.
SPIEGEL: Warum waren Ihrer Meinung nach so viele Fachleute trotzdem überrascht?

Moore: Weil sie Lügner und zynische Schauspieler sind. Und wo waren unsere Medien? Am 15. September 2008 und an den Tagen darauf, als erst Lehman Brothers kollabierte und dann der Versicherungskonzern AIG, da redeten alle Fernseh-Anchormen und alle Zeitungskommentatoren von einem Schock. Ich dachte nur: Wollt ihr mich alle verscheißern? So strohdoof könnt ihr gar nicht sein! Die Medienleute haben sich dumm gestellt, weil sie von den großen Konzernen und von der Wall Street finanziert werden.

SPIEGEL: Das ist doch Unsinn. Es gab genug Warnungen in den Medien der USA und Europas, nur haben die wenig gefruchtet.

Moore: Dann ist doch auch das die Schuld der Journalisten! Ich will mir kein Urteil über Ihre Arbeit anmaßen, aber ihr Medienleute seid dafür verantwortlich, solche Warnungen eben nicht zu verstecken.

SPIEGEL: Die wohl größte Überraschung in Ihrem neuen Film sind mehrere Geistliche und sogar ein katholischer Bischof, die dort den Kapitalismus verdammen und behaupten, er passe nicht mit dem Christentum zusammen. Gilt nicht gerade im Protestantismus amerikanischer Prägung irdischer Reichtum als Lohn für ein gerechtes Leben, als Beleg für Gottes Gnade?

Moore: Sie haben recht. Aber als mich einige meiner Mitarbeiter nach den ersten Testvorführungen baten, die Szenen herauszunehmen, in denen es heißt, der moderne Kapitalismus sei das Gegenteil von dem, was Jesus wollte, da beharrte ich darauf, dass diese Stellen drinbleiben. Denn ich bin genau dieser Überzeugung, seit ich als Teenager selbst Priester werden wollte.

SPIEGEL: Sie erwarten das antikapitalistische Heil von der Religion?

Moore: Ich will niemandem in privaten, religiösen Dingen hineinreden. Aber ich bin Dokumentarfilmer, und ich stehe ehrlich zu dem, was ich empfinde angesichts eines Systems, das zutiefst unfair ist und unmoralisch und undemokratisch. Es ist eine Schande, dass wir den Kapitalismus in seiner vorliegenden Form mit allen Auswüchsen tolerieren, obwohl die meisten Menschen genauso wie ich finden, dass er gegen die wichtigsten ethischen Grundregeln verstößt.

SPIEGEL: Sind Sie selbst nicht auch Kapitalist? Sie haben doch mit Ihren Filmen viel Geld verdient.

Moore: Ich habe nie Aktien gekauft oder besessen, wenn Sie das meinen, ich habe nie an das System der Wall Street geglaubt.

SPIEGEL: Aber gegen Privatbesitz und Kleinunternehmertum haben Sie nichts?

Moore: Nein, ich respektiere Menschen, die Geld verdienen wollen, hart arbeiten und das gut machen. Ich habe nur etwas gegen Burschen, die Geld verdienen mit der Ausbeutung anderer. Wenn zehn Leute an einem Tisch sitzen und einer von ihnen sichert sich neun Stücke der Torte und die anderen kriegen nicht mal eins, dann ist das falsch und sollte nicht erlaubt sein. Leider ist genau das aus dem Kapitalismus geworden. Ich habe nichts gegen den Mann, der in seinem Laden Schuhe verkauft. Aber ich bin dagegen, dass er alle Schuhgeschäfte in der Stadt besitzen will, so dass wir nur noch bei ihm Schuhe kaufen können. Sein Recht, Geld zu verdienen und alles aufzukaufen, wird durch unser Recht, eine Wahl zu haben, beschränkt. Ich glaube, so eine Moral brauchen wir.

SPIEGEL: Das ist aber nicht der Geist, auf dem der Reichtum Ihrer Nation fußt, der Pioniergeist, in dem vor 150 Jahren Amerikas Westen erobert wurde.

Moore: In der Zeit seither hat sich alles komplett verändert. Natürlich ist Gier ein Teil der menschlichen Natur. Deshalb brauchen wir Regeln in unserer Gesellschaft, deshalb sollten wir unsere niedrigsten Instinkte zähmen. Der Kapitalismus stachelt diese niedrigen Instinkte nur immer weiter an: Schlag deinen Nächsten, zeig ihm, dass du überlegen bist! Deshalb halte ich den Kapitalismus für nicht reformierbar. Er muss eliminiert werden. Es ist verrückt, etwas reformieren zu wollen, das von Grund auf falsch ist.

SPIEGEL: Wie sieht Ihre Alternative zum Kapitalismus denn aus? Die real existierenden Alternativen in der Geschichte haben alle versagt.

Moore: Ich möchte Demokratie. (...)

Spiegel Interview mit Michael Moore von Wolfgang Höbel und Daniel Sander

Hier der zweite Teil

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